Über traurige Ritter in strahlender Rüstung und ferne Lichtblicke, vom Bedürfnis nach Bestätigung und der Sehnsucht nach sich selbst.
Oft ist das ungewollte Verlieben in mehrere Menschen der erste Schritt zur Beschäftigung mit nicht-monogamen Beziehungs-Konzepten. Hier versuche ich, anhand meiner persönlichen Erfahrungen mein Verständnis des Verliebens nachzuzeichnen.
Ich muß sieben oder acht gewesen sein, als ich mich zum ersten Mal verliebte. Sie war ein Jahr jünger als ich und hatte einen außergewöhnlichen Namen, den ich zuvor nie gehört hatte. Kurz nachdem ich mir erklärt hatte, daß das, was ich da fühle, wohl dieses ominöse Verliebtsein war, von dem in Büchern und im Fernsehen immer geredet wurde, fragte ich sie auch schon, ob sie mich heiraten wolle. Immerhin machte man das ja so, nicht wahr? Das hatte ich aus den Büchern und aus dem Fernsehen gelernt. – Sie meinte recht diplomatisch, daß sie dafür noch ein wenig zu jung sei, es sich aber überlegen würde. Wir sprachen nie wieder darüber.
Hoffnungsloser Romantiker
Doch auch in der Zeit, als ich mich ernsthaft für das andere Geschlecht zu interessieren begann, veränderte sich meine unbewußte Haltung nicht wirklich: Ich verliebte mich (meistens von einer Sekunde auf die andere) und meinte dann, dieses Mädchen wäre jetzt diejenige, mit der ich für den Rest meines Lebens zusammen bliebe. Meistens hatte ich wochenlang nicht den Mut, ihr meine Gefühle zu gestehen, und wenn, dann war es in Form überschwenglicher Liebesbriefe – die unweigerlich zu belustigtem Unverständnis, Häme ihrer Schulfreundinnen und kopfschüttelnder Ablehnung führten. Ich verlor mich in Shakespeare-Sonetten, saß in vollkommenem Unglück stundenlang am Flußufer und verbrannte Fotos der Angebeteten in meiner Hand.
Irgendwann – und bis dorthin sollte es noch einige Jahre dauern – hatte ich den Schmerz und das Drama gründlich satt, die mit dem Verliebtsein scheinbar untrennbar einhergingen. Ich beschloß, mich nicht mehr zu verlieben. Liebe: Ja, die würde mir bleiben. Liebe war so groß und unantastbar, die konnte nicht verletzt werden. Auch das Ende einer Beziehung änderte nichts an der Liebe, die ich für einen Menschen empfand. Aber Verlieben … das schien mir (bei aller Schwärmerei, Hoffnungsfreude und träumendem Schweben) so tückisch, unwägbar und letztlich ins emotionale Elend führend, daß ich ihm entsagen wollte.
Und mehr als einmal gelang es mir auch, die Notbremse zu ziehen und mich zu kontrollieren, wo ich mich vorher Hals über Kopf verliebt hätte. Ich fühlte mich in meiner Position der allumfassenden Liebe sicher. Von dort aus ergab sich auch meine polyamore Lebenseinstellung als selbstverständlicher nächster Schritt – denn natürlich konnte ich mehrere Personen gleichzeitig lieben. Dennoch konnte ich meinem Vorsatz nicht konsequent treu bleiben und verliebte mich immer wieder einmal. Dabei fiel mir auf, daß ich scheinbar keinen bestimmten „Typ“ bevorzuge … zumindest vom Aussehen her. Trotzdem wiederholten sich bestimmte Muster in meinem Verhalten. Und die interessierten mich.
Unbewußte Aspekte des Verliebens
So peinlich es klingt: Der rote Faden, der sich in meinem Fall durch alle Verliebtheitsepisoden zog, bestand aus der Suche nach der großen, unerwiderten Liebe. Es mußte eine Frau sein, die in Nöten schien, deren Zuneigung zu mir ich sentimental überhöhen konnte – und die ich letztlich nie erreichen würde, damit ich mein Selbstbild des elegisch leidenden, unverstandenen und einsamen Künstlers bestätigen konnte. Erst als ich dieses Muster bewußt reflektiert hatte, konnte ich auch deutlich sehen, wie ich andere, möglicherweise aussichtsreichere Gelegenheiten nicht zugelassen oder sie bedauerlicherweise nach kurzer Zeit beendet hatte.
Seither hat sich viel getan. Ich verliebe mich nach wie vor sehr schnell. Aber ich erlebe es in einer völlig neuen, sanften, befreiten Qualität und genieße es in vollen Zügen.
Mittlerweile habe ich ein umfassenderes Verständnis für einige Abläufe des Verliebens entwickelt; mitunter wird unser Schwärmen für jemanden neben dem erotischen Begehren eben auch maßgeblich durch das Gefühl ausgelöst, vom anderen gesehen und bestätigt zu werden. Dieser Eindruck kann zum Beispiel durch die Bekräftigung einer oder mehrerer der folgenden unbewußten Bedürfnisse entstehen:
- Ich setze mich für eine bessere Welt ein, weil es sonst kaum jemand tut – und da gibt es noch jemanden, der meine Werte teilt.
- Ich werde nur geliebt, wenn ich mich für jemanden aufopfern kann und da ist jemand, der mich braucht.
- Ich weiß nicht, wer ich selbst bin, aber ich arbeite an meinem Image und da ist jemand, den ich damit beeindrucken kann.
- Ich bin nicht liebenswert und dieser Jemand wird mich darin bestätigen, damit ich mich weiterhin verlassen fühlen kann.
- Ich habe wenig Zugang zu meinem Körper und meinen Gefühlen, aber da gibt es jemanden, der mein Wissen schätzt und von dem ich annehme, daß er bereit ist, hinter meine Mauern zu blicken.
- Ich fühle mich permanent unsicher und bin bereit, mich diesem Jemand unterzuordnen, denn von ihm verspreche mir Sicherheit.
- Ich kann nur schwer mit mir selbst allein sein und von der Zeit mit diesem Jemand verspreche ich mir Spaß und Abwechslung.
- Ich kann meine weiche Seite nicht zulassen, sehe sie aber in anderen und da ist jemand, der beschützt werden muß.
- Ich versuche soweit wie möglich, allen Konflikten aus dem Weg zu gehen und da gibt es jemanden, bei dem ich mir Harmonie verspreche.
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Solange wir beinahe zwanghaft diesen unbewußten Selbstbildern nachlaufen, besteht die Gefahr, Polyamorie als Ausrede dafür zu mißbrauchen, kindliche Bedürfnisse unreflektiert nachzunähren (in Vorträgen gehe ich genauer darauf ein, wie das entstehen kann und welche Möglichkeiten ich sehe, konstruktiv damit umzugehen) … nicht umsonst heißt es ja, daß jede Beziehung einen Spiegel darstellt – und im Poly-Kontext ist es gleich ein ganzes Spiegelkabinett!
Doch je mehr unsere Projektionen nachlassen, um so eher sehen wir andere Menschen wirklich. Ähnlich wie Treue im Hinblick auf Polyamorie neu definiert wird, kann auch das Verlieben durch Bewußtmachen und Selbstliebe einen ganz neuen Charakter bekommen; es wird zu einem authentischen Ausdruck unseres Wesens. Denn schließlich bietet Polyamorie ja auch die Freiheit, sich in die ganze Welt zu verlieben …!