Die Computerspielmetapher

Als ich das erste Mal Ideen hörte wie: „In Wirklichkeit gibt es gar keine Zeit; alles geschieht gleichzeitig“ oder „So was wie ein individuelles Ich existiert gar nicht; da ist nur ein allumfassendes Bewußtsein“, klang das für mich erstmal sehr aufregend … und intuitiv konnte ich diesen Betrachtungen auch zustimmen. Das reichte mir aber nicht – ich wollte sie zudem auf eine Weise nachvollziehen, die ich mit meinem sehr bildhaft ausgeprägten Denken erfassen konnte. Und idealerweise wollte ich es nicht nur begreifen, sondern auch selbst erleben! Mich mit einer interessant klingenden These abspeisen zu lassen, genügt mir halt nicht. Und die in esoterischen Kreisen oft gehörte Aussage, man müsse (oder gar dürfe!) nicht alles verstehen wollen, denn es würde völlig ausreichen, es zu fühlen, reizt mich erst recht, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Ich hab gemerkt, daß die Vergleiche, die mir zu solchen Ansichten in den Sinn kamen, oft auch anderen Menschen dabei hilfreich waren, ihrer Sicht der Dinge weitere Gesichtspunkte hinzuzufügen; und vielleicht inspirieren sie Dich ja auch.

Okay. Zuerst erinnere ich mich daran, wie’s für mich ist, ein Computerspiel zu spielen. Keine Ahnung, wie’s Dir dabei geht, aber ich verlier mich recht schnell in solch einer virtuellen Welt: Meine Außenwelt tritt rasch absolut in den Hintergrund, weil ich es liebe, mich in die Rolle eines Charakters hineinzuleben, auf fremden Planeten Aufgaben zu erledigen und Rätsel zu lösen, was wiederum meine Fähigkeiten verbessert, wodurch ich mich dann immer mächtigeren Gegnern stellen kann – und schon ist etwas passiert, das ich von meiner Drehbucharbeit her nur zu gut kenne: Identifikation. „Meine“ Fähigkeiten verbessern sich, echte Wut und Frustration tauchen auf, wenn „ich“ an einer besonders schwierigen Stelle im Spiel feststecke und immer wieder „mein“ Leben verliere … What happens to the hero, happens to the audience, sagt man beim Film. Was dem Helden geschieht, geschieht auch mit dem Publikum. Durch den Prozeß der Identifikation lachen und leiden, bangen und triumphieren wir mit dem Helden mit, obwohl wir natürlich irgendwo wissen, daß es ja nur 24 unbewegte Einzelbilder pro Sekunde sind, die wir da auf einer Leinwand anstarren. Aber dieses Wissen klammern wir im Normalfall aus; wir wollen uns für eine Zeitlang sogar ganz gerne identifizieren. Bei einem interaktiven Format wie dem Computerspiel kann das nur umso reizvoller sein! Wenn ich noch einen oder zwei Schritte in die Zukunft weiterdenke, lande ich bei einer komplett holographischen und auf meine Entscheidungen reagierende Umgebung wie dem Holodeck oder einer simulierten Realität wie in Tad Williams‘ genial-dystopischer Otherland-Tetralogie, wo es fast unmöglich scheint, sich nach einiger Zeit nicht mit seiner Welt zu identifizieren! (Übrigens, wenn Du Identifikation mal in ursprünglicher Form beobachten willst, besuch mal eine Vorführung im Kasperltheater und gib darauf acht, was mit den Kindern im Publikum passiert … obwohl denen im Grunde genommen schon klar ist, daß das dort auf der Bühne ja „nur“ Handpuppen sind, die von den Puppenspielern geführt werden.)

Zurück zum Computerspiel. Da wähle ich zu Beginn vielleicht aus, ob ich einen Mann oder eine Frau spielen möchte, wie diese Figur aussieht und welche grundsätzlichen Eigenschaften sie mitbringt. Mit dieser Figur identifiziere ich mich bis zu einem gewissen Grad ­– sonst hätte das Spiel auch absolut keine Anziehungskraft. Zu jedem Zeitpunkt des Spiels hat diese Figur eine bestimmte Bandbreite an Wahlmöglichkeiten, und je nach Entscheidung verändert sich der Verlauf des Spiels (manchmal gibt es auch sogenannte Filmsequenzen, wo ich nur zusehen kann). Und zwischendurch kann ich den Spielstand immer wieder speichern, um mich aus dem Geschehen zurückzuziehen, zu erholen und mir mein weiteres Vorgehen zu überlegen. Wenn ich es schließlich geschafft und das Spiel zu Ende gespielt habe, passiert es mir regelmäßig, daß ich es unbedingt noch mal spielen muß – diesmal mit einer besseren Kenntnis der Spielwelt und der Neugier, wie sich andere Entscheidungen auf die Geschichte auswirken.

Auf Tatooine. Screenshot von Star Wars: Knights of the Old Republic

Und dann schau ich mir die DVD an, auf der das Spiel gespeichert ist, und überleg mir: Alle möglichen Körperformen, alle Eigenschaften, alle Gegenstände meiner Figur sind auf dieser Scheibe programmiert, ebenso wie ihre gesamte Umwelt und alle anderen Figuren, die in diesem Spiel auftauchen. Alle nur denkbaren Kombinationen meiner Interaktionen mit ihnen sind darauf, ebenso wie alle essentiellen Wendepunkte und potentiellen Handlungsverläufe der Geschichte. Und all das existiert jetzt gleichzeitig auf dieser DVD. Sobald ich aber in das Spiel einsteige (im vollen Wissen darum, welches Genre das Spiel bedient und daß es in seinem Verlauf viele, viele Herausforderungen für mich gibt), erlebe ich für mein subjektives Empfinden einen chronologisch linearen Handlungsablauf – abgesehen von aus dramaturgischen Gründen eingestreuten Flashbacks und Zukunftsvisionen – und zwar durch eine Figur, die ich für die Dauer des Spiels als „mich selbst“ begreife. Ich erlebe eine Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen und erfahre mich dadurch in neuen Aspekten meiner selbst. Eventuell erinnere ich mich auch an frühere Versionen derselben Spielreihe, die ich „schon ein früheres Mal“ gespielt habe. Vielleicht tausche ich mich während oder nach dem Spiel mit anderen Spielern aus, um von deren Erfahrungen zu profitieren, ihre Lösungsvorschläge für knifflige Stellen im Spiel zu hören oder selbst welche anzubieten oder mich einfach nur bestätigt zu fühlen, daß ich auch so ein toller Hecht bin, der dieses anspruchsvolle Spiel gemeistert hat. Ja, dafür kann ich so ein Spiel dann auch richtiggehend lieben … obwohl es in Wirklichkeit nur eine Kombination von Einsen und Nullen auf einer Scheibe ist, die in allen Farben des Regenbogens schillert.

So. Gehen wir noch einen Schritt weiter. Ich stell mir vor, daß ich nicht nur an einem Spiel sitze, sondern neben mir noch einen zweiten Computer habe, auf dessen Monitor ein ganz anderes Spiel dargestellt wird. In diesem bin „ich“ kein Erforscher fremder Planeten, sondern vielleicht eine Zauberin in einer düster-mittelalterlichen Welt oder der Kommandeur einer Seeflotte. Und angenommen, ich hätte die Fähigkeit (wie manche Schachspieler), mehrere Spiele simultan zu spielen, würde ich „mich“ tatsächlich gleichzeitig in parallelen Welten erleben. Nehmen wir schließlich an, mich umgäben buchstäblich unendlich viele Monitore und ich wäre in der Lage, mich in all diesen Spielen in jeweils allen nur vorstellbaren Eventualitäten auf einmal zu erleben … dann kommen wir vielleicht dem alten mythologischen Bild nahe, daß alle Welten des Kosmos nur ein Traum sind, den eine Gottheit für eine kurze Zeit träumt.

Fraktale Unendlichkeit

– Wenn ich davon erzähle, höre ich oft den Einwand, daß es mehr als abstrakt und überflüssig wäre, sich mit solchen Hirnwichsereien überhaupt abzugeben. Warum sollte man sich den Kopf über so was zerbrechen? Ich antworte dann immer, daß es für mich aufs Gleiche hinausläuft wie beim heliozentrischen Weltbild: Stimmt schon, es macht scheinbar keinen großen Unterschied, auf einer Scheibe zu leben oder einer Kugel. So oder so steh ich morgen auf und putz mir die Zähne – aber ich für meinen Teil tu das lieber in einer Welt mit einem weiteren Horizont. Mich mit sowas abzugeben, vergrößert einfach meine Perspektive. Und glaubst Du mir, wenn ich sage, daß man sich auch dazu ermächtigen kann, diese Art von multidimensionalem Bewußtsein nicht nur nachzuvollziehen, sondern sogar zu erfahren? Mit Touching the Mystery könnte das Teil Deines Spiels werden …


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