In einigen Artikeln (insbesondere in diesem hier) habe ich ja schon meiner Philosophie Ausdruck verliehen, die man vielleicht als idealistisch-monistischen Pantheismus bezeichnen könnte.
Sie beschreibt in ihrer Kosmogonie, in aller Kürze, wie das All-Eine, um sich selbst zu erfahren, sich ein Multiversum als Teil seiner selbst erträumt und sich in unzählige Bewußtseinsfunken aufteilt, als die es in die unzähligen Welten geht. Damit das Spiel am Laufen gehalten werden kann, muß es jedoch vergessen, daß es das All-Eine ist … und es entsteht das, was Daniel Ackermann in seinem Werk Alles eine Frage von Bewußtsein die Grundangst nennt: die Illusion der Trennung vom All-Einen und voneinander. Infolgedessen beginnt auch die Identifikation mit einem Ich.
Diese Identifikation geht äußerst schnell vonstatten – jeder Schauspieler, der mit Masken arbeitet, wird es bestätigen können: Sobald du eine aufsetzt, diktiert sie beinahe augenblicklich dein Verhalten. Irgendwie scheinst du zu wissen, wie sich deine Stimme nun verändern, wie sich dein Körper bewegen soll. Das lateinische Wort für Maske lautet persona. Jede der feststehenden Rollen, die es im römischen Theater gab, wurde über ihre Maske definiert. Es waren große Teile aus Holz, mit übertrieben aufgemalter Mimik, so daß auch die Zuschauer in den letzten Reihen genau wußten, wer hier dargestellt war. Vor der Mundöffnung befand sich ein kleiner Trichter, damit die Stimme des Schauspielers da so laut wie möglich hindurch tönen (personare) konnte. Und obwohl jeder wußte, daß er sich lediglich im Theater befand, nahm er die Darstellung auf der Bühne ernst, litt oder lachte mit den Figuren, die uns Heutigen wahrscheinlich ziemlich grotesk vorkommen würden.
Ich frage mich, wie es kommt, daß wir eine Maske nach sehr kurzer Zeit schon nicht mehr als das wahrnehmen, was sie ist, sondern sie als anderes Wesen sehen? Ein ähnliches Phänomen legen wir ja auch an den Tag, wenn es um Handpuppen, Marionetten oder Charaktere aus Cartoons und Animationsfilmen geht. Eine Theorie dazu besagt, daß wir dazu tendieren, alles zu personifizieren, sobald es Augen hat – und daß wir unglaublich schnell darin sind, etwas als Augenpaar anzusehen …
Diese Bobachtung beunruhigt mich etwas – es erstaunt, wie schnell wir einer Maske, einer Persönlichkeit, Einfluß auf uns einräumen, nicht wahr? Andererseits erweckt genau diese Beobachtung vielleicht auch Hoffnung. Denn man könnte es ja auch so sehen: Die Tatsache, daß wir so schnell alles Mögliche in eine Maske hineinprojizieren und uns sogar ganz leicht mit ihr identifizieren können (wie wir es normalerweise ja mit unserer Persönlichkeit machen), kann gleichzeitig ein Indiz dafür sein, daß wir eine große Sehnsucht danach haben, einmal „jemand anders“ zu sein beziehungsweise die Identifizierung mit unserem Ich aufzulösen. Zumindest kurzfristig. Diese Sehnsucht scheint mir oft zwar recht unbewußt, aber nichtsdestotrotz äußerst stark vorhanden zu sein. Wie erklärt es sich sonst, daß wir in der einen oder anderen Form ständig danach trachten, wenigstens einige der folgenden Möglichkeiten zu verwirklichen, um unser Ich vorübergehend zu verlieren / die Illusion der Trennung aufzuheben?
- ein Orgasmus (oder mehrere Orgasmen)
- tiefes Versunkensein in Meditation
- völliges Aufgehen im kreativen Schaffensprozeß
- Selbstvergessenheit in magischen Ritualen
- ekstatisches Tanzen und Trommeln
- mystische Einheitserfahrungen
- ergreifende Naturerlebnisse
- bestimmte Traum- und außerkörperliche Zustände
- Flow-Momente im (Extrem-)Sport oder in Todesgefahr
- die Geburt (s)eines Kindes mitzuerleben
- den Tod eines Menschen mitzuerleben
- Nahtoderfahrungen
- Einheitserfahrungen durch Entheogene
- Verschmelzen mit anderen bei Massenveranstaltungen
- frisches Verliebtsein
- die Begegnung mit einem „Erwachten“
… auf diesen Wegen kann sich manchmal unsere Vorstellung darüber, wer wir sind, für eine bestimmte Zeit auflösen – und wir empfinden diese so genannte ozeanische Entgrenzung als überwältigenden, beseligenden Zustand! Oder als ob eine große Last weggenommen wäre. Eingetaucht in die zeitlose Leerheit. Da ist heilige Gegenwärtigkeit. Reine Existenz. Pures Sein.
Paradox, nicht wahr? Die größte Erfüllung ist es, wenn „Ich“ nicht mehr da bin.
Wer also steckt hinter der Maske?
Ich?
Und wer steckt hinter dem Ich?